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Radhelme wirkungslos?

 

Eine Studie aus Neuseeland bestätigt Zweifel an der Schutzwirkung von Fahrradhelmen

"Das kann nicht stimmen. Die Zahlen müssen einfach falsch sein!" Manch einer der Tagungsteilnehmer konnte es nicht fassen, doch das Ergebnis aus Neuseeland änderte sich auch durch eine mehrmalige Überprüfung nicht: Obwohl bis 1992 große Teile der Radfahrer freiwillig einen Helm trugen, hatte dies keinerlei Auswirkungen auf den Anteil der Kopfverletzungen bei den stationär aufgenommenen Radfahrern.

Dabei hatten die Autoren der Untersuchung, Paul A. Scuffham und John D. Langley, beides bekannte Helmbefürworter, ursprünglich nur das beste für ihre Sache im Sinn. Die Studie sollte erstmalig in großem Umfang den Nutzen des Helmtragens beweisen, um die durch die negativen Ergebnisse aus Australien stark kritisierte Helmpflicht für Radfahrer in Neuseeland verteidigen zu können.

Die Autoren überlegten, wie man eine Schutzwirkung der Helme am einfachsten messen könnte. Da ein Radhelm nur den Kopf vor Verletzungen schützen kann, sollte er keinen Einfluß auf die anderen Verletzungen der verunglückten Radfahrer haben. Tragen mehr Radfahrer Helme, sollte folglich auch der Anteil der Kopfverletzungen an allen Verletzungen zurückgehen, was sich anhand der archivierten Entlassungsdiagnosen aller neuseeländischen Krankenhäuser leicht zurückverfolgen lassen könnte. Durch einen Vergleich mit der jeweils aktuellen Helmtragequote bei Neuseelands Radfahrern würde sich schließlich der Schutzfaktor der Radhelme genau bestimmen lassen.

Als Untersuchungszeitraum wurden die Jahre 1980 bis 1992 gewählt, in dem Radhelme anfangs praktisch unbekannt waren, dann ab 1986 zunehmend häufiger benutzt wurden, um schließlich Ende 1992 von 84 % aller Kinder im Grundschulalter, 62 % aller Jugendlichen und 39 % aller Erwachsenen getragen zu werden. Eine Helmpflicht wurde in Neuseeland erst 1994 eingeführt, ihre Auswirkungen waren also nicht Gegenstand dieser Untersuchung.

Heraus kam tatsächlich, daß der Anteil der Kopfverletzungen im Laufe der Zeit langsam zurückging. Nur tat er das auch schon vor 1986, also zu einer Zeit, in der kaum jemand einen Radhelm trug. Und der Anteil ging nicht nur bei den Radfahrern zurück, sondern auch bei allen anderen stationären Patienten der Krankenhäuser.

Eine genauere statistische Analyse der Daten von September 1989 bis September 1992, also dem Zeitraum, wo die Helmtragequote am stärksten anstieg, bestätigte schließlich die Befürchtungen: Ein Einfluß des Helmtragens auf den Anteil der Kopfverletzungen war nicht festzustellen, der Rückgang der Kopfverletzungen mußte einen anderen Grund haben. Denkbar wäre beispielweise, daß allgemeine Fortschritte in der ambulanten Behandlung dafür verantwortlich waren.

bild1klein.gif (7k) (hier als 300 dpi-Grafik)
Für diese Grafik wurden beispielhaft die Daten aus dem Artikel von Paul A. Scuffham für Kinder bis 12 Jahre herausgegriffen. Wie deutlich zu sehen ist, hat die gestiegene Helmnutzung keinerlei Einfluß auf den Anteil der Kopfverletzungen. Der Sprung in der Helmtragequote im Jahr 89 rührt daher, daß die Helmtragequote erst ab Ende 89 für diese Altersgruppe getrennt erfaßt worden ist und bis dahin die Helmtragequote für alle Radfahrer angetragen wurde.

Die Autoren trauten ihren Augen kaum. Sie prüften ihre Daten und versuchten an allen Ecken und Enden doch noch einen positiven Effekt der Radhelme zu finden. Aber das Ergebnis änderte sich nicht. Auch das neuseeländische Verkehrsministerium konnte die Resultate nicht glauben, eine nochmalige Überprüfung wurde veranlaßt. Doch die Daten waren korrekt, das Ergebnis bestätigte sich abermals.

Entsprechend fassungslos reagierten die Teilnehmer der anfangs erwähnten "3. International Conference on Injury Prevention and Control" im Februar 1996 in Melbourne, Australien, wo Paul A. Scuffham die Studie präsentierte. Dabei verdichteten sich bereits im Vorfeld die Hinweise darauf, daß Radhelme lange nicht das zu leisten imstande waren, was in manch bekannter Untersuchung vermutet wurde. Viele dieser Studien vergleichen die Verletzungen unbehelmter Radfahrer mit den Verletzungen behelmter Radfahrer. Unterschiede werden dann dem Radhelm zugeschrieben, ohne jedoch nachzuprüfen, ob es nicht auch andere Gründe dafür geben könnte.

In Seattle, Heimatstadt der drei bekannten Helmforscher Thompson, Rivara und Thompson, wurde zum Beispiel beobachtet, daß nur sehr wenige Kinder beim Radfahren auf der Straße einen Helm trugen, während Kinder mit Helm typischerweise in Begleitung ihrer Eltern auf einem Wochenendausflug im Grünen unterwegs waren. Vor diesem Hintergrund erstaunt es wenig, wenn dort mehrere Studien ergeben, daß Kinder mit Helm ganz allgemein bei Unfällen im Durchschnitt nicht so schwer verletzt werden und weniger Kopfverletzungen davontragen als Kinder ohne Helm, obwohl der Radhelm kaum Schutz bietet. Denn anders als die unbehelmten Kinder auf der Straße laufen die Kinder mit Helm im Grünen kaum Gefahr, von einem Auto angefahren zu werden - bei radfahrenden Kindern noch immer einer der wichtigsten Gründe für Kopfverletzungen und andere schwere Verletzungen.

Auch in Zukunft ist auf dem Gebiet der Radhelmforschung manch eine Überraschung zu erwarten. So deuten die Ergebnisse einiger Untersuchungen darauf hin, daß Radhelme möglicherweise sogar das Unfallrisiko erhöhen können - ein Effekt, der unter dem Namen "Risikokompensation" in dieser Form bereits beim ABS im Auto beobachtet wurde.

Hintergrundinformationen

Die Ergebnisse der Untersuchung von Paul A. Scuffham und John D. Langley wurden im Artikel "TRENDS IN CYCLE INJURY IN NEW ZEALAND UNDER VOLUNTARY HELMET USE", Accident Analysis and Prevention, Vol. 29, No. 1, pp. 1-9, 1997 veröffentlicht, der direkt oder per Fernleihe in vielen öffentlichen Bibliotheken einsehbar ist.

Internet

Deutschsprachige Informationen zu den Auswirkungen der Helmpflicht in Australien finden Sie im Artikel "Radhelmpflichten - Fakten, Zahlen und Konsequenzen" unter http://www.adfc-bw.de/texte/helm/helm.htm. Weitere Informationen liefert der Forschungsdienst Fahrrad Nr. 282: http://pdeleuw.de/fahrrad/fdf/fdf-282.html.

Einen englischsprachigen Bericht von der erwähnten 3. ICIPC gibt es unter http://www.pcug.org.au/~psvansch/crag/.

Der ECF hat eine Broschüre mit dem Titel "IMPROVING BICYCLE SAFETY - without making helmet-use compulsory" erarbeitet. Ein Bestellformular und die Broschüre selbst sind unter http://ecf.com/html/helmetgb.htm zu finden. [Update 2013-11-21: Inzwischen liegt die Broschüre unter http://www.ecf.com/wp-content/uploads/2011/09/060131_ECF_Helmet_brochure_13.pdf]

Neben den Seiten der Cyclists Rights Action Group (http://www.pcug.org.au/~psvansch/crag/) etablieren sich zunehmend die Seiten der Ontario Coalition for Better Cycling (http://www.vehicularcyclist.com) als Informationsquelle rund um die Helmproblematik.

(c) 1999 Ingo Keck (2011-10-31). Vollständiger und unveränderter Nachdruck gegen Belegexemplar frei, Änderungen und/oder Kürzungen nur in Absprache mit mir.
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